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Mario Thiel

Mario Thiel

Vorsicht, Thiel!

Selbstversorger


Die Tage werden jeden Tag länger, obwohl sie dabei nie die Dauer von 24 Stunden überschreiten. Das ist ein Phänomen und die Zeit der Kleingärtner. Wie mich. Wer es nicht am Wetter merkt, der spürt diesen Frühlingshauch von Kleingarten in den Lebensmitteldiscountern. Während es in der Sparte klare Bestimmungen gibt, was man nicht anpflanzen oder wie hoch etwas sein darf, gibt es keine Beschränkungen, wie viel und welchen Schrott man aus dem Discounter in seinen Garten schleppen kann.
Früher war der Kleingarten nur etwas für alte Leute, dann kamen die Hipster dazu, die ihren Glutenfreien-Vegan-Bio-Trip mit eigenen Produkten abrunden, und nun kommt die Zeit der Selbstversorger. Während man für gewöhnlich eine Mischung aus Bunt und Lecker im Garten hatte, reicht nun der Platz kaum noch für Nützlich. Machen wir uns nichts vor, die Zeit der Früchte aus Südamerika zum Preis von heimischem Sauerkraut ist vorbei, da die Transportkosten so unerschwinglich geworden sind, dass auf deutschen Autobahnen die rechte Spur wieder für Pkw freigegeben werden kann, weil es kaum noch Lkw-Verkehr gibt. Sagt die Branche.
Praktisch wie damals, als die Lkw-Maut eingeführt wurde und fast alle Speditionen pleite gingen, wie man am Dauerstau auf rechten Autobahnspuren beobachten kann. Jedenfalls ist die schwierigste Frage in diesem Jahr, was wir anbauen sollten, um uns kulinarisch über Wasser halten zu können. Natürlich haben wir nur einen Kleingarten, was uns bisher nicht störte. Ein Gartenhäuschen, etwas Terrasse, Wiese, ein Apfel- und ein Kirschbaum, etwas Weinranke, ein paar Beeren, Tomaten, Gurke. Und Zucchini!
Okay, am Anfang sah es nicht danach aus, aber aus den vier Pflänzchen wurde bald ein Zucchini-Wald! Den Dingern kann man beim Wachsen zuschauen. Jeden Tag nahmen wir mehrere Kilo Zucchini mit nach Hause, was unseren heimischen Speiseplan extrem beeinflusst hat. Anfangs haben wir es mit reinem Selbstverzehr versucht: Zucchini mit Hackfleisch, mit Käse, als Pfannengemüse, Suppe, Lasagne, Zucchini-Taler, Schüttelzucchini und ich glaube, als Dessert gab es die auch mal. Irgendwann machten wir allen im Wohngebiet unsere Zucchini schmackhaft, was zur Folge hatte, dass bald nicht mehr auf mein Klingeln reagiert wurde. Auf dem Höhepunkt der Saison, ging ich mit der Machete in den Garten, weil der Garten innerhalb weniger Stunden zugewachsen war.
Aber dieses Jahr gibt es das nicht! Und auch keinen Kürbis! Auf Grund der Situation habe ich entschieden, dass wir im Garten Sonnenblumen anbauen, die Kerne ernten und zu Öl verarbeiten werden. Dazu habe ich eine Fläche für Getreide urbar gemacht, was allerdings auf Kosten unseres Gartenhäuschens ging, das aber sowieso Schatten auf meine Senfpflanzen geworfen hätte, die neben den Melonen wachsen. Warum sollte ich das Häuschen auch rumstehen lassen, wo ich die Gartenmöbel ja nicht mehr benötige, weil der Rasen weg ist und wo die Terrasse war, nun ein kleiner Kohletagebau mein ganzer Stolz ist.
Dank meiner geschickten Planung können wir, neben Braunkohle, bald ausreichend Mangelware anbieten. Sogar fast zum Selbstkostenpreis. Wie hoch der ist, verrate ich aber nicht, zu Gunsten einer kreativen und freien Preisgestaltung meinerseits. Das habe ich mir bei den Mineralölkonzernen abgeschaut. Und da bin ich schon bei einer schmerzlichen Erkenntnis: Ich habe nun leider in meinem Garten keinen Platz mehr, für Erdölbohrtürme. Das wäre ein Ding gewesen! Ach so, braucht jemand einen Rasenmäher?

Bleibt gesund und friedlich,
ciao, euer Mario


Wort: Mario Thiel / Bild: Tobias Kade