Ein Credo für die Beschaulichkeit
Wien bleibt immer Wien
Es sind inzwischen mehr als einhundert Jahre vergangen, als das Kaiserreich Österreich-Ungarn zum heutigen Rumpfstaat - mit Wien als übergroßer Hauptstadt - schrumpfte. Noch bis 1918 herrschte die Habsburger-Monarchie über die doppelte Fläche der heutigen BRD und war mit über 50 Millionen Einwohnern eine europäische Großmacht. Und obwohl der Adel in Österreich per Gesetz abgeschafft wurde, ist hier ein - überwiegend schöngefärbter - Erinnerungskult an die k.u.k.-Monarchie überkommen. Dabei steht die österreichische Hauptstadt für weitaus mehr: Im Vorjahr beging die Donaustadt den 250. Geburtstag ihres großen Bürgers Ludwig van Beethoven. Die Berggasse 19 gilt als Geburtsort der Psychoanalyse - dort befindet sich das Sigmund Freud-Museum. Und die UNO-City ist neben New York, Genf und Nairobi einer von vier Hauptsitzen der Vereinten Nationen.
Der pittoreske Kaiserkult lebt nirgendwo so lebhaft fort wie in der Kapitale Wien, die sich zu Recht als eine der lebenswertesten Städte der Welt rühmt. Der Wiener "Grant" und speziell der Dialekt der Hautstadtbewohner werden übrigens im restlichen Österreich nur sehr ungern vernommen.
Die Habsburger-Monarchie und Sachsen fühlten einander über Jahrhunderte eng verbunden. Nicht zufällig verheiratete August der Starke seinen Sohn 1719 mit der Kaisertochter Maria Josepha. Wie in Leipzig sagt der Wiener viertel Vier und nicht etwa viertel nach Drei. Ohnehin fühlt sich der "Kaffeesachse" in der Donaumetropole wie zuhause, auch wenn der Wiener eine Melange, einen kleinen Braunen oder einen Verlängerten bestellt. Was dem Dresdner seine Eierschecke, ist dem Österreicher die Sachertorte. Doch egal - schmecken tut beides. Die weltberühmte Kaffeehauskultur an der Donau zeichnet sich vor allem durch die Gelassenheit und Ruhe aus. Im "Hawel" wie im "Sperl" rührt der Hauptstädter seine Melange und liest - allein - die Zeitung. Eins aber solltet ihr beachten: Der Wiener Kellner ist gerne grantig und lässt sich von Euch garantiert nicht hetzen. Merke: Im Kaffeehaus ist der Ober König und nicht etwa der Kunde!
In diesen Zeiten lässt sich das Fernweh schwer befriedigen. Dabei ist Wien nur einen Mausklick vom heimischen Schreibtisch entfernt - so bietet etwa die Webcam auf dem Burgtheater einen beeindruckenden Rundblick über die Ringstraße mit dem Rathaus, dem Parlament und dem Volksgarten. Der vier Kilometer lange Prachtboulevard entstand Mitte des 19. Jahrhunderts an Stelle der Stadtbefestigung. Der Neorenaissancebau des Burgtheaters selbst bietet einen weiteren Link zu Sachsen: Architekt war kein Geringerer als Gottfried Semper, dessen gleichermaßen berühmtes Opernhaus den Dresdner Theaterplatz krönt. Im Prachtbau der Wiener Staatsoper spielen seit 1869 die berühmten Wiener Philharmoniker auf. Das Kunsthistorische Museum am Ring, gleichfalls ein Semperbau, bietet in Zeiten von Corona über eine App virtuelle Museumstouren an. Unter www.insidebreugel.net könnt ihr etwa die weltgrößte Sammlung des flämischen Meisters Pieter Breugel online besuchen.
Um sich gefühlt in das Wien des 19. Jahrhunderts zu begeben und alle Klischees auszukosten, ist vor Ort die allerdings nicht ganz billige Rundfahrt mit dem Fiaker zu empfehlen. Die große Tour mit einer zweispännigen Kutsche führt in 40 Minuten durch die Altstadt und über die Ringstraße, sie kostet für maximal vier Mitfahrer 80 Euro. Thematische Fahrten zu den Gräbern von Mozart, Beethoven, Schubert und Falco sind ebenso möglich wie kulinarische Fiakerfahrten.
Das Herzstück von Wiens ist wohl der Stephansplatz. Hier erhebt sich der Südturm des Stephansdoms auf 137 Meter Höhe. Das gotische Bauwerk mit seinen bunten Ziegeln auf dem steilen Dach gilt als das Wahrzeichen der Stadt. Es dient jedoch auch als Treffpunkt der Wiener, wenn sie sich zu einer Beisl-Tour oder zum Shoppen verabreden. Nur ein paar Ecken südöstlich erreicht ihr den viereckigen Josefsplatz, der zu Recht zu den schönsten Platzanlagen Wiens gehört. In der gotischen Augustinerkirche wurden die meisten Habsburger getauft und verheiratet. Der Barockbau der Nationalbibliothek beherbergt neben den wichtigen Schriftstücken Österreichs den wohl schönsten Bibliothekssaal der Welt. Sehenswert ist für Liebhaber der Erdkunde das einzigartige Globenmuseum. Die historischen Stücke geben einen spannenden Einblick in die Sichtweise unserer Vorfahren auf unseren Planeten.
Der Österreicher spricht einfach von der "Burg", denn die umstehenden Gebäude gehören alle zu dem ausladenden Komplex der berühmten Wiener Hofburg. Residierten hier in vergangenen Jahrhunderten des Heiligen Römischen Reiches die deutschen Kaiser, hat seit 1946 der Bundespräsident als Staatsoberhaupt in der Hofburg seinen Schreibtisch. Als Pendant zum Dresdner Grünen Gewölbe präsentiert die Schatzkammer die Kaiserkrone und den Burgunderschatz, während die Kaiserappartements zu einem Rundgang durch die Gemächer Franz Joseph I. einladen.
Für etwas Erholung vom Kaiserkult empfiehlt sich der Besuch des Wiener Praters. Wer hierbei an den bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Vergnügungspark in der Donauaue denkt, der Wiener sagt Wurstlprater dazu, liegt natürlich nicht falsch. Und doch bietet die einzigartige Erholungslandschaft weit mehr als Achterbahn und Riesenrad. 1766 eröffnete der Reformkaiser Joseph II. das bisherige Jagdrevier dem Volke. Sehr zum Missfallen der Hofschranzen übrigens. Beidseits der kastanienbestandenen Hauptallee gibt der Grüne Prater inmitten der Millionenstadt Raum für Liebesschwüre, Familienpicknicks oder das Bolzen der Jungs. Ganz in der Nähe befindet sich jenseits des Donaukanals eine Sehenswürdigkeit des 20. Jahrhunderts: Das Hundertwasserhaus. Denn auch das ist Wien: In der traditionsbewussten Stadt errichtete der Architekt und Ökoapostel - gegen alle Bautraditionen - seine wilde und bunte, von Büschen und Bäumen bewachsene Wohnwelt. Zwischen alt und neu, schick und schräg - Wien bietet eben einfach für jeden etwas.