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Uferpromenade von Keszthely

Uferpromenade von Keszthely

Und dieses Jahr am Balaton

Urlaub wie bei alten Freunden


Lange Flugreisen sind 2020 nicht angesagt. So begab sich unser Fotograf - wie bereits in Kindheitstagen im elterlichen Wohnwagen - mit dem Auto auf den Weg in den Südosten Europas. Wie würde sich das einstige Sehnsuchtsziel des DDR-Bürgers, der Balaton, wohl nach mehr als drei Jahrzehnten präsentieren? Zugegeben, kürzer ist die Fahrtstrecke nach Ungarn nicht geworden, wohl aber mit Klimaanlage etwas angenehmer.
Der Balaton bietet mit einer Länge von 77 Kilometern satte 195 Kilometer Ufer mit zumeist feinem Sand oder sattem Grün. Die Corona-Zahlen in Ungarn sind niedrig, zudem schlägt die Wassertemperatur des höchstens 12 Meter tiefen Sees die frische Ostsee um Längen. So sind hier angenehme Wassertemperaturen bis 26 Grad typisch und bleiben es bis weit in den Herbst hinein. Zudem soll das leicht alkalische Wasser des Balaton in unserer hektischen Zeit angenehm beruhigend wirken.
Der so friedlich anmutende See kann jedoch bei aufziehendem Gewitter und Sturm sehr ungemütlich werden. Die Warnungen mit Leuchtraketen und aufgezogenen Sturmbällen am Ufer sollte der Tourist ernst nehmen, die Zahl der Opfer ist im Jahr zweistellig. Kein Wunder: Gilt der Balaton als größter Steppensee Europas und ist um 58 Quadratkilometer größer als der Bodensee. So bezeichnen ihn die Einheimischen auch stolz als "ungarisches Meer". Genährt wird der Balaton vor allem vom Fluss Zala, der sich nach einem Verlauf von 138 Kilometern mit sieben Kubikmetern Wasser pro Sekunde in den Binnensee ergießt.
Das Nordufer zeigt sich mit seinen Hügeln und weinbestockten Hängen - den Ausläufern des Bakony-Gebirges - deutlich abwechslungsreicher als die gegenüberliegende Südseite. Auch fällt der Balaton hier vom Ufer unvermittelt in die Tiefe. Das erspart dem Badelustigen das hunderte Meter lange Waten wie im Süden, um endlich eine schwimmfähige Tiefe zu erreichen. Abgesehen vom klassischen Sonnenbad lädt der Balaton hier zu vielerlei Aktivitäten ein: Angeboten werden Ballonfahren und Skydiving ebenso wie Touren per Quad oder einfach mit dem Fahrrad.

Paprika pur

Paprika pur

Festung Sümeg

Festung Sümeg

Batthyány Kúria in Zalacsány (Platan Park Hotel)

Batthyány Kúria in Zalacsány


Gerade die Fahrt entlang der Nordküste weiß dank einer abwechslungsreichen Landschaft zu begeistern. Für den ungetrübten Urlaubsspaß sei allerdings der Hinweis eingefügt: Orbans Ungarn zeichnet sich durch strenge Verkehrsregeln und null Toleranz bei Alkohol aus. Mancherorts artet die Polizeiarbeit gar in eine regelrechte Wegelagerei aus. Auch bei eher geringen Tempoüberschreitungen ist mit hohen Bußgeldern zu rechnen, zumal die Ortseingangsschilder zuweilen weit vor dem ersten Haus aufgestellt werden.
Ein breites Angebot an Unterkunftsmöglichkeiten, zumeist vergleichsweise günstig, lädt zum Verweilen ein. Vom Luxushotel in historischen Schlössern und Villen über Pensionen und Campingplätze bis hin zu Ferienwohnungen oder Privatzimmern ist wohl für jeden Geschmack etwas dabei.
Zu den gern besuchten Sehenswürdigkeiten gehört wie eh und je die Kleinstadt Keszthely am Westende des Balaton. Heute empfängt das einst dem ungarischen Hochadel vorbehaltene Barockschloss auch den gemeinen Besucher. Am Ende des Zweiten Weltkriegs setzten sich in Schloss und Park die Truppen der Roten Armee fest. Listig hatten Einheimische die wertvollen Möbel und Kunstschätze kurzerhand hinter schnell hochgezogenen Zwischenwänden versteckt. Das schützte sie vor Vandalismus und der Selbstbedienung der Siegermacht. Heute präsentiert sich das strahlende Schloss der Grafen von Festetic als beeindruckendes Museum, Austragungsort von Konzerten und Standort einer meisterlichen Bibliothek. Erfreulicherweise verschonten die sowjetischen Soldaten 1945 die zahlreichen Kirchen der Stadt, so auch die gotische Pfarrkirche aus dem 14. Jahrhundert.
Wer es etwas älter will: In der Stadt wurde das römische Binnenkastell Keszthely-Fenékpuszta ergraben. Die rechteckige Anlage mit runden Seiten- und Ecktürmen wurde im vierten Jahrhundert unserer Zeit in der damaligen römischen Provinz Pannonia I errichtet. Die Stadt Keszthely besticht heute auch durch ihre großen Uferhotels am Balaton, während in der Fußgängerzone entlang der Kossuth Lajos utca Geschäfte zum Bummeln einladen.

Vulkankegel an der Nordwestspitze des Balaton bei Badacsony

Vulkankegel an der Nordwestspitze des Balaton bei Badacsony

Abtei von Tihany

Abtei von Tihany

Ausflugsdampfer an der Mole von Keszthely

Ausflugsdampfer an der Mole von Keszthely


Einen Ausflug wert ist die Stadt Sümeg, rund 20 Kilometer nördlich des Balatons gelegen. Auf einem plateauartigen Kalkstein-Hügel thront hoch über dem Ort die größte Burgruine Westungarns. Die mittelalterliche Anlage fiel im 18. Jahrhundert einem Brand zum Opfer. Noch heute gibt sie bei Ritterspielen eine beeindruckende Kulisse ab. Nachts verwöhnt das hier eher gering besiedelte Westungarn mit einem atemberaubenden romantischen Sternenhimmel.
Der wohl beliebteste Ausflugsort am Balaton ist die Halbinsel Tihany. Sie ragt fünf Kilometer in den See hinein und steht unter Naturschutz. Von der Südspitze der Halbinsel verkehrt eine Autofähre auf das hier nur reichlich 1000 Meter entfernte Südufer des Balatons. Als Attraktion befinden sich auf der Halbinsel zwei Kraterseen, deren Wasserspiegel bis zu 25 Meter über dem Balaton liegen! Die kleinen, denkmalgeschützten Höfe aus Basalttuff sind zumeist mit Schilf gedeckt. Überragt wird Tihany von den barocken Türmen der Abteikirche, deren Ursprung im 11. Jahrhundert zu suchen ist. Vom Plateau hinter dem Sakralbau eröffnet sich uns ein überragender Blick auf den Balaton. Die Abteikirche lädt im Sommerhalbjahr zu Orgelkonzerten ein: Wegen ihrer hervorragenden Akustik wird sie weithin gerühmt.
Eine typische Attraktion in Ungarn sind die sehr verbreiteten Thermalquellen: Zalakaros, Zalaegaerszeg, Sarvar, Zalarszentgrot oder Kehidakustán - auch wenn der deutsche Besucher sich beim Aussprechen der Ortsnamen wohl die Zunge bricht, eine Stippvisite lohnt sich immer. In Heviz erstreckt sich Europas größter Warmwassersee über eine Fläche von fünf Hektar. Erreichen die Temperaturen im Sommerhalbjahr hier 33 bis 35 Grad Celsius, sinkt die Wassertemperatur selbst im Winter nur auf 26 bis 28 Grad ab. Über 60 Millionen Liter strömen täglich aus einer 39 Meter tiefen Quelle in den Thermalsee. Nach reichlich einem Tag ist so das stark radioaktive Heilwasser völlig ausgewechselt! Ganzjährig blühen die Lotosblüten und Seerosen auf dem See. In einem gepflegten Park liegen das Sanatorium und die Kurhotels.

Burgtor der Festung Sümeg

Burgtor der Festung Sümeg

Barockes Festetics-Schloß in Keszthely

Barockes Festetics-Schloß in Keszthely

Freiluftmuseum in Szalafö

Freiluftmuseum in Szalafö

Festung Sümeg und ihre tierischen Bewohner

Festung Sümeg und ihre tierischen Bewohner


Nur fünf Kilometer weiter nordwestlich liegt Zalacsány, ein kleiner Ort an einem fischreichen See,. Abgesehen von Anglern und Golfern begeistern Hotels wie das Kurhotel "Platan Park" ihre Gäste auch hier mit heißem Wasser aus dem Untergrund. Recht nobel und mit Sonderkonditionen für den Golfplatz ist der Besucher im Schlosshotel Batthyany und dem Herrenhaus Kuria untergebracht.
Wer Ungarn bisher nur von Budapest her kennt, taucht in Westungarn in eine andere Welt ein. Das grenznahe Gebiet zu Österreich und Slowenien war zu früheren Zeiten recht arm und abgeschottet. Der Nationalpark Örség wartet bis heute mit wenig berührter Natur auf. Markierte Wanderwege und verschlafene Dörfer fern der Touristenströme laden dazu ein, die Seele baumeln zu lassen. Hier scheint die (Tier-)Welt noch in Ordnung: Ob Störche, Füchse oder Wildschweine - bei genauerem Hinschauen am Boden auch riesige Käfer und Krabbeltiere - hier scheint Glyphosat noch nicht alles Leben vernichtet zu haben!
Das idyllische Freilichtmuseum Pityerszer bei Szalafö entführt uns mit reetgedeckten Lehmbauten in eine längst vergangene Zeit. Malerische Ziehbrunnen und historische Speicherhäuser wurden hier zusammengetragen. Am Rande des Freilichtmuseums können europäische Bisons oder Eurasische Wildpferde entdeckt werden. Doch auch außerhalb des Museums wirken die Orte hier wie weltentrückt. Die kleinen malerischen Dorfkirchen werden von Friedhöfen mit Holzkreuzen umgeben. Hier wird noch traditionelles Handwerk wie Töpferei betrieben. Die Keramiken im Velemér-Tal zeichnen sich durch ihre eigenartigen Verzierungen und Glasuren aus.
An die schon fast vergessene Geschichte der Teilung Europas wird im Grenzschutzmuseum Apátisvánfalva erinnert. Wie offen und befreit schien die Zeit vor 30 Jahren zu sein! In einer ehemaligen Grenzerkaserne sind die Schlafstube und Kantine, der Waffenraum ebenso wie das Kommandatenbüro zu besichtigen.
Zur Landeskunde gehört wie überall aber natürlich auch die Gaumenfreude. Abgesehen von der allseits bekannten Salami und dem würzigen Gulasch wären hier besonders die kalte Gänseleber oder Paprikahuhn mit Nockerln zu empfehlen. Gerade in den Landgebieten sind die Speisen recht fleischlastig und schwer, aber unvergleichlich lecker. Eine sehr gute Qualität weisen die trockenen Weißweine auf, so etwa der Graue Mönch oder der Blaustengler. Schließlich hat der Weinanbau in Ungarn eine gut zweitausendjährige Tradition! Und natürlich gibt es die Weine auch gespritzt als Schorle. Als Nachspeise empfehlen sich - Ungarn gehörte ja zur k. u. k.-Monarchie - Eierkuchen und Strudel. Zu guter Letzt beendet der Ungar sein Mahl mit einem kräftigen Mokka. Wohl bekomm's! Und nächstes Jahr wieder am Balaton!

Wort: Uwe Schieferdecker / Bild: Torsten Reineck


Endlose Lavendelfelder bei Tihany

Endlose Lavendelfelder bei Tihany

Kalte Gänseleber, eines der Nationalgerichte

Kalte Gänseleber, eines der Nationalgerichte

Weinberge umgeben den gesamten Balaton

Weinberge umgeben den gesamten Balaton

Stausee in Zalacsány

Stausee in Zalacsány